Was mein Sohn Quirin in der Schule, 2. Klasse, so macht, ist für mich ein schwarzes Loch. Äußerst selten erfahre ich etwas aus seinem Schulalltag. Schon gar nicht freiwillig. Doch gestern beim Abendessen sagte er unvermittelt, seine Lehrerin hätte ihnen von siamesischen Zwillingen erzählt.
"Mama, wie entstehen siamesische Zwillinge eigentlich?", fragte er.
Dafür musste ich ihm erst mal erklären, wie Zwillinge überhaupt entstehen, dachte ich.
"Es gibt Zwillinge, die entstehen aus zwei Eizellen im Bauch der Mutter und heißen deshalb auch zweieiige Zwillinge. Entweder zwei Mädchen oder zwei Jungen oder Mädchen und Junge.
"Ja, weiss ich doch", sagte Quirin.
"Okay, gut. Es kann aber auch sein, dass sich aus einer Eizelle zwei Kinder entwickeln. Das passiert, wenn sich die Eizelle so teilt, dass sich daraus zwei Babys entwickeln. Das sind dann eineiige Zwillinge.
Wenn sich die Eizelle aber nicht ganz teilt sondern die beiden Zellen noch ein bisschen miteinander verbunden sind, wachsen zwei Babys heran, die auch noch miteinander verbunden sind. Sie können nur an der Haut verbunden sein, sie können aber auch gemeinsame innere Organe wie Lunge oder Leber haben".
"Oder nur ein Herz?" Quirin schaute mich mit großen Augen an.
"Ja", sagte ich. "Sogar das Herz kann verbunden sein. Man möchte natürlich, dass jedes der Kinder ein eigenes Leben führen kann und versucht, die Kinder zu trennen. Sind allerdings Organe verbunden, die man nur einmal hat, wie das Herz, ist es kaum möglich, die Kinder zu trennen. Man kann ja schlecht das Herz teilen."
"Und wie trennt man die Kinder?", fragte Quirin.
"Mit einer Schere?", fragte meine Tochter Josephia.
"Fast. Man trennt die Kinder während einer Operation. Da bekommen die Kinder eine Narkose, das bedeutet, sie schlafen und spüren nichts. Und dann trennt man die Zwillinge mit einem scharfen Messer."
"Aber dann ist da ja offen und die Babies bluten ganz stark", warf Quirin besorgt ein.
"Man näht die Wunde natürlich wieder zu", beruhigte ich ihn.
"So mit Nadel und Faden?", fragte er mich weiter.
"Ja, allerdings mit besonderen Nadeln und Fäden. Es gibt Fäden, die muss nach ein paar Tagen ein Arzt wieder entfernen, wenn die Wunde gut verheilt ist. Für Wunden, an die der Arzt nicht hinkommt, weil sie zum Beispiel im Bauch liegen, gibt es auch Wundfäden, die sich mit der Zeit auflösen", erläuterte ich.
"Und in was lösen sich diese Wundfäden dann auf? In Blut? Oder in Zellen?", fragte Quirin.
"Sie werden vom Körper abgebaut. Aber zu was, weiss ich eigentlich auch nicht genau. Komm wir schauen nach."
Ich zeigte den Kindern, wie man im Internet nach einer Antwort auf unsere Frage suchen kann. Quirin und Jospehia waren begeistert - wie immer wenn es um Internet geht. Sie hingen gebannt über dem Display meines Smartphones. Ich erklärte ihnen, was eine Suchmaschine ist und wie man am besten findet, was man sucht. Wir fanden dann folgende Erklärung auf der Internetseite eines Herstellers für chirurgische Nahtfäden:
"Das Nahtmaterial Polyglykolsäure ist resorbierbar, ein Copolymer aus Glycolic und Lactid, welches durch Hydrolyse abgebaut wird. Die entstehenden Abbauprodukte, Glykolsäure und Milchsäure, werden metabolisiert ohne das Wundmilieu zu verändern.".
Ich vernahm nur ein einstimmiges "Hääh?"der Kinder.
Ich versuchte zu vereinfachen:
"Das bedeutet, dass ein solcher Faden aus verschiedenen klitzekleinen Bausteinchen besteht, die wie Perlen an einer Kette hängen. Das Wasser in unserem Körper kann diese Kette dann in die einzelnen Bausteinchen zerschneiden und weiter verdauen, so wie unser Magen unser Essen zerkleinert und verdaut. Es bleibt noch das Gas Kohlendioxid und Wasser selbst übrig. Kohlendioxid können wir ausatmen und Wasser übers Pippi ausscheiden. Und irgendwann ist der Faden dann weg."
"Cool", rief Quirin. "Und was kann man da noch alles nachschauen im Internet? Kann ich mal nach dem höchsten Turm der Welt suchen? Und nach dem größten Mensch der Welt? Und nach dem ältesten Baum der Welt?"
Die Suche war eröffnet..
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